Geistlicher Impuls im Mai 2022 – Aushalten und Gestalten

Aushalten und Gestalten – Resiliente spirituelle Praxen“

Krisen aushalten und gestalten, mit ihnen umgehen, ohne vollständig in der Krise zu versinken: Wie das Menschen gelingen kann, wird von der Resilienzforschung ganz grundsätzlich betrachtet.

Die interdisziplinäre, von der DFG geförderten Forschungsgruppe an der Universität Bonn „Resilienz in Religion und Spiritualität“ (resilienz.uni-bonn.de) schaut sich dabei besonders den Prozess des In-der-Krise-Seins an. Dieser kann von ganz widersprüchlichen Erfahrungen geprägt sein: Da ist zunächst die Hoffnung; die Hoffnung darauf, dass es wieder besser wird, die Krise überwinden werden kann, dass ich – im Ende, trotzdem – getröstet sein werde. Und gleichzeitig ist der Prozess vom Ringen mit der Krise, mit dem Zerstörerischen geprägt, mit dem, was kaum auszuhalten ist. Das ist eine wichtige Erkenntnis der Forschungsgruppe: Zu kämpfen, zu zweifeln und manchmal auch zu verzweifeln, am Boden zu sein, ist nicht das Gegenteil von Resilienz, sondern ein Teil resilienter Erfahrungen. Diese ambivalenten Erfahrungen von Hoffnung und Ringen prägen die Krisen und unseren (resilienten) Umgang mit ihnen. Dass einem manchmal nach lachen und weinen gleichzeitig zumute ist; dass man froh und dankbar darüber ist, plötzlich und unerwartet Trost zu empfinden – es aber eigentlich schöner gewesen wäre, wenn man des Trostes überhaupt nicht bedurft hätte.

Für diese Erfahrungen – Hoffnung, Ringen mit Destruktivität, Ambivalenz aushalten – braucht es Räume: Ein solcher „Raum“ kann die „Stille“ sein. Es ist ein Raum, in dem wir uns einüben können, auszuhalten, zu warten – da zu sein, weder ganz aktiv noch ganz in trost-loser Passivität versunken. Im „In-der-Stille-Sein“ können sich solche Prozesse abspielen, an dem man im Inneren erspüren kann, worauf man hofft, womit man ringt und welche widersprüchlichen Gedanken sich gerade in einem abspielen: Es ist wichtig, dass diese Stille einen Anfang und ein Ende hat, damit man nicht in ihr versinkt. Denn in dem Sinne ist Stille genau nicht Schweigen und Sprachlosigkeit, sondern in der Stille kann das Erzählen vielmehr seinen Anfang nehmen – vorsichtig und tastend und auch damit ringend, wie ich von dem erzählen kann, was mich belastet, wie ich meine Krise so erzählen kann, dass es meine Krise ist: Stille als ein möglicher Ort, an dem ein solcher Prozess stattfinden kann.

Frère Roger, der Gründer der Communauté von Taizé, in der Stille die zentrale Rolle spielt, verwendet dafür eine sehr eindrückliche Beschreibung: „Im Gebet durchstreifen die Bilder, die Gedanken den Geist.“ In der Stille durchstreifen uns Gedanken, Erzählungen und Bilder, und wir können – unerwartet und unverfügbar – diesen Bildern und Erzählungen begegnen, mit ihnen in Resonanz treten. Sie können in dieser Begegnung zu unseren Erzählungen werden, die uns helfen, Worte, Sprache, einen neuen Faden für die eigene Lebenserzählung zu finden. In diesem Sinne kann Stille, In-der-Stille-Sein als eine resiliente spirituelle Praxis verstanden werden.

Katharina Opalka, Postdoktorandin, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Mitglied des Beirates, Haus der Stille Rengsdorf