Hoffnung durch Handeln – 07/21

„Und ja, wir brauchen Hoffnung, selbstverständlich brauchen wir sie. Aber eines, was wir noch dringender brauchen als Hoffnung, ist Handeln. Wenn wir anfangen zu handeln, ist überall Hoffnung. Also: Anstatt nach Hoffnung zu suchen, sucht nach konkretem Handeln. Dann und erst dann kommt die Hoffnung“. Das sagte Greta Thunberg im November 2018. Sie dreht dabei die gängige Sichtweise auf Hoffnung um.

Sie sagt nicht: Lasst uns die Hoffnung stärken, dann haben wir mehr Kraft zum Handeln. Sondern: Fangt an zu handeln, dann kommt die Hoffnung.

Bei der gut 70 Jahre älteren Tiefenökologin Joanna Macy habe ich dasselbe gefunden: „Hoffnung durch Handeln“. Joanna Macy ist die Grande Dame der amerikanischen Friedens- und Umweltbewegung – und sie sagt es natürlich auf Englisch: „Active Hope“. Im Laufe der Zeit haben sich die Erfahrungen Macys zu einem Konzept verdichtet. (Interesse an Macys Ansatz? Klicken Sie hier.) Der Gedanke bewegt mich: Ich brauche nicht erst eine große Portion Hoffnung, um handeln zu können. Im Gegenteil: Hoffnung kommt und begleitet mich, sobald ich selbst ins Handeln komme. Was wäre, wenn das stimmt? Wenn es mit der Hoffnung so wäre wie mit den Pflanzen. Immerhin wachsen die auch erst dann, wenn ich den Boden bereitet und die Samen eingepflanzt habe. Beweisen kann ich es nicht, aber diese Erkenntnis könnte sich bewahrheiten, wenn wir ihr einmal nachgehen.

Wichtig ist dabei, welchen Blick ich auf unsere Welt mit all ihren Krisen und Katastrophen einnehme. Joanna Macy nennt dies die „Drei Geschichten über die Welt“.

Kennst du die „Drei Geschichten über die Welt“?

Vielleicht sehen wir sehr deutlich, was alles schiefläuft. Doch all das ist so gewaltig, dass wir uns ohnmächtig fühlen. Das ist die erste Geschichte: Die Geschichte vom fortschreitenden Zerfall. Sie hat viele Namen: Alles geht den Bach runter. Es ist zu spät. Apocalypse Now. Wo bleibt in der ersten Geschichte die Hoffnung? Sie muss von außen kommen, eine Macht außerhalb von uns muss es richten. Wir hoffen auf Rettung. Denn mehr können wir nicht tun.

Oder wir erzählen eine zweite Geschichte:  Dann erzählen wir uns, dass wir letztlich so weitermachen müssen wie bishe (sicherlich mit der einen oder anderen Verbesserung). Wir können oder wollen aber nicht sehen, dass sich etwas grundlegend ändern muss. So ist das nun mal. Das ist der Lauf der Dinge. Et kütt wie et kütt. Et hätt‘ noch immer jot jejange. The Show must go on. Im Grunde geht‘s uns doch gut. Wird schon. Die Hoffnung in dieser zweiten Geschichte ist von einer anderen Art. Sie gibt uns immer so viel Kraft, dass wir nicht ganz verzagen und somit weiterhin dieser Geschichte treu bleiben – und damit weiter im Hamsterrad des „So ist das nun mal.“

Die dritte ist die Geschichte vom „Großen Wandel“; sie erzählt von der sozial-ökologischen Transformation. Ein anderes Leben ist möglich. Das Gute Leben für Alle. Wenn Frieden und Gerechtigkeit sich küssen. Ein Leben in Fülle. Sei du der Wandel, den du in der Welt sehen willst. Hier rückt die Hoffnung an eine andere Stelle: Sie stellt sich ein durchs Tätigsein.

Welche Geschichte erzählst Du mir?

Wir haben die Wahl, welche Geschichte wir erzählen. Das ist die zentrale Erkenntnis. Dahinter liegt ein einfaches und wirkungsvolles Prinzip: Das, worauf ich meine Aufmerksamkeit lenke, wächst. Geistliche Übungen leben von diesem Prinzip: Was ich füttere, wird groß.

Rettende Hoffnung, ablenkende Hoffnung oder tätige Hoffnung? Etwas holzschnittartig, gewiss. Aber gehen wir doch einmal diesen Gedanken nach. Vielleicht stellt sich am Ende sogar Hoffnung ein, wenn wir mit diesen Gedanken anfangen, selbst zu handeln.

 

Dr. Martin Horstmann,*1975, Diplom-Diakoniewissenschaftler, ist Studienleiter der Evangelischen Melanchthon-Akademie in Köln und Kursleiter im Haus der Stille.