Kurze Ärmel. Ohne Jacke. Endlich Frühling!

Von der verlorenen Sehnsucht nach der Lebenskraft Gottes

Wie ich das vermisst habe.
Der Winter war lang. Er war dunkel und feucht.

Jetzt geht es wieder: draußen sein.
Wind umspielt das Gesicht.
Grün verwöhnt die Augen. Kraftvoll und zart.
Licht, das freundlich empfängt, umschmeichelt.
Die erste Wärme. Überraschend warm.

Kurze Ärmel.  Ohne Jacke.
Der Impuls sich auszustrecken nach der Sonne.
Unbeschwerte, leichte Schritte.

Tage zum Aufsaugen.
Licht für das verdunkelte Innere.
Ich spüre, das Herz öffnet sich, die Seele wird lebendig.

Der Winter hat seine Spuren hinterlassen.
Er hat sich in Leib und Seele geschlichen.
Tristes Grau, wolkenverhangen der Himmel, lange Dunkelheit.
Nicht endende bedrückende Nachrichten.
Unbedachte Fluchten
in die Ablenkung, in die Trägheit, in die Arbeit.

Jetzt endlich wieder frei atmen.
Jetzt endlich wieder beten.
Jetzt endlich kommen wieder Worte in den Sinn.

Aller Himmel Himmel können dich, Gott,  nicht fassen

Sollte Gott wirklich auf Erden wohnen?
Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen
– wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe?  (
1.Kön 8,27)

Das Haus, das ich gebaut habe in diesem Winter,
hat sich mit Grau und Sorge gefüllt und meine Seele gefangen genommen.
Ich habe sie verloren ohne es zu merken.
Ich habe sie den schlechten Nachrichten und der unbedachten Ablenkung überlassen.
Keine Idee, sie zu schützen; kein Impuls, sie zu bewahren.

Mit meiner Seele habe ich auch dich vergessen, Gott.
Deine Schönheit und deine unbeschreibliche Lebenskraft.

Meine Seele sehnt sich nach dir, mehr als die Wächter auf den Morgen. (Psalm 130,6)  

Ich habe mich nicht gesehnt.
Ich habe mich dem Strom der schlechten Nachrichten hingegeben.
Vielleicht auch der zweifelhaften Neugierde nach Neuigkeiten.

Mein Verstand wollte teilhaben, und ich dachte, etwas Gutes und Waches zu tun.
Ich wollte verstehen, der Welt mit Interesse begegnen.
Die bedrückenden Nachrichten des Krieges und der Gewalt, der Zerstörung
und der immer neuen Krisen,
haben sich giftig in meine Seele geschlichen.
Ich habe sie in mich hineingelassen, ohne Widerstand.
Sie haben meine Seele kraftlos und ohnmächtig gemacht,
sie haben mir die Lebendigkeit und den Mut genommen.

Was hilft mir, mich wieder lebendiger zu fühlen?

Woher kommt mir Hilfe?  (Psalm 121,1)

Wo ist die Kraft, die unsere Seele speist?
Wo ist der Ruf, der uns ins Leben zieht?
Wo ist die Fülle, die uns heilsame Bilder schenkt?

Jetzt wecken der Gesang der Vögel, das sprießende Grün,
die Kirschblüte, das Brummen der Bienen
die verlorene Sehnsucht nach der Lebenskraft Gottes.

Wir können nicht leben und schon gar nicht der Bedrückung begegnen, ohne sein Licht!
Wir können mitten im Krieg den Frieden nicht ersehnen, ohne seine Schönheit!
Wir können mit Tod und Sterben nicht umgehen, ohne von seinem Leben zu wissen!

Ich brauche den Himmel, der sich öffnet.
Ich möchte es lernen, wieder frei zu atmen.
Ich möchten den Worten folgen, die mir – endlich – jetzt wieder in den Sinn kommen.

Zuspruch, die Kraft heilsamer Gegenwart.
Bilder, die Mut machen zu leben. Quelle und Licht.
Geschichten von unbegreiflicher Nähe und Tröstung.
Von Segen und Verwandlung.
Und vom Ernst meiner Entscheidung zur Wachheit …

Der Frühling selbst zieht mich nach draußen

Dieser Frühling zieht mich nach draußen.
Es sind Tage zum Aufsaugen. Wie ausgetrockneter Boden den Regen empfängt.
Ich staune: Die Seele atmet auf und wird lebendig.
Wenn ihr Sehnen verstummt, verstummt das Leben in mir.
Wenn ihre Sehnsucht erwacht, erwacht auch das Leben in mir.
Wie konnte ich das vergessen?!

Die bedrängenden Nachrichten hören nicht auf.
Es muss möglich sein, ihnen anders zu begegnen.
Betend vielleicht
und mit dem im Herzen, der Ursprung und Kraft allen Segens ist
und der Leben und Sterben, Werden und Vergehen
unendlich sanft in seinen Händen hält.

Das einzuüben ist meine ganz persönliche Frühjahrsaufgabe.

Ulrike Stürmlinger, *1961, ist Pfarrerin in der Evangelischen Kirchengemeinde Straelen-Wachtendonk und Mitglied des Beirates des Hauses der Stille